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Die Waage der Justitia Die Waage der Justitia Quelle: picture alliance / MAXPPP | Mourad ALLILI

Thema im Fokus

Völkerstrafrecht im Überblick

Krieg findet nicht im rechtsfreien Raum statt. Es ist Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, die Täterinnen und Täter von Völkerrechtsverbrechen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Deutschland nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. Mit der Schaffung des Völkerstrafgesetzbuchs vor über 20 Jahren wurde sichergestellt, dass die deutsche Justiz im Krieg verübte Gräueltaten verfolgen kann – und zwar unabhängig vom Tatort und von der Staatsangehörigkeit des Täters.

Das Völkerstrafrecht umfasst alle völkerrechtlichen Normen, welche die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Einzelpersonen (und nicht von Staaten) für die Begehung von Völkerrechtsverbrechen regeln. Im Zentrum dieser Regelungen stehen die sog. Kernverbrechen des Völkerstrafrechts, nämlich

  • der Völkermord,
  • die Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
  • die Kriegsverbrechen und
  • der Angriffskrieg (Verbrechen der Aggression).

Die Bezeichnung „Kernverbrechen“ rührt daher, dass die genannten Verbrechen die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, weil sie universell geschützte Rechtsgüter (Weltfrieden und internationale Sicherheit) verletzen.

Das Völkerstrafrecht hat heute eine internationale und eine nationale Seite, die auf der internationalen aufbaut. Das BMJ ist für die nationale Seite zuständig. Für die internationale Seite ist das Auswärtige Amt verantwortlich.

Geschichtliche Entwicklung

Der Friedensvertrag von Versailles beendete im Jahr 1919 den Ersten Weltkrieg und brach erstmals mit der bis dahin gängigen Praxis, im Rahmen eines Krieges begangene Verbrechen ungesühnt zu lassen. Der Vertrag sah vor, den deutschen Kaiser Wilhelm II. wegen „schwerster Verletzungen des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge“ vor ein internationales Strafgericht zu stellen. Zudem sollte Deutschland Personen, die Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges begangen hatten, zur Strafverfolgung an die Alliierten ausliefern. Zur Umsetzung kam dieses Modell nicht. Stattdessen stimmten die Alliierten dem deutschen Vorschlag zu, Strafverfahren gegen Kriegsverbrecher und Kriegsverbrecherinnen selbst durchzuführen (sog. Leipziger Kriegsverbrecherprozesse). Deutschland betrieb die Strafverfolgung allerdings nur halbherzig.

Durchbruch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges

Erst infolge der Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges und des Holocausts kam es zum Durchbruch des Völkerstrafrechts. Im sog. Londoner Viermächte-Abkommen von 1945 einigten sich die Siegermächte darauf, die deutschen Hauptverantwortlichen vor dem Nürnberger Militärtribunal strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Der US-amerikanische Chefankläger Robert Jackson äußerte sich zu diesem historisch bedeutsamen Schritt in seiner berühmten Eröffnungsrede wie folgt:

„Die Untaten, die wir zu verurteilen und zu bestrafen suchen, waren so ausgeklüngelt, so böse und von so verwüstender Wirkung, dass die menschliche Zivilisation es nicht erdulden kann, sie unbeachtet zu lassen, da sie eine Wiederholung solchen Unrechts nicht überleben würde. Dass vier große Nationen, erfüllt von ihrem Sieg und schmerzhaft gepeinigt von dem geschehenen Unrecht, nicht Rache üben, sondern ihre gefangenen Feinde freiwillig dem Richterspruch des Gesetzes überlassen, ist eines der bedeutsamsten Zugeständnisse, das die Macht jemals der Vernunft eingeräumt hat.“

Darüber hinaus bekräftigte Jackson, dass das in der Anklage zu Grunde gelegte neue Völkerstrafrecht künftig für alle gelten müsse:

„Dieses Gesetz wird hier zwar zunächst auf deutsche Angreifer angewandt, es schließt aber ein und muss, wenn es von Nutzen sein soll, den Angriff jeder anderen Nation verdammen, nicht ausgenommen die, die jetzt hier zu Gericht sitzen.“

Nürnberger- und Tokioter-Tribunal

Insgesamt 22 Angeklagte mussten sich vor dem Tribunal wegen des Verbrechens gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Das Gericht sprach 19 hiervon im Jahr 1946 schuldig.

Nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse verurteilte das Tokioter-Tribunal, das für die strafrechtliche Aufarbeitung japanischer Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zuständig war, im Jahr 1948 insgesamt 25 Mitglieder der japanischen Führungsriege. Die Verurteilungen erfolgten ebenfalls wegen des Verbrechens gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Auch in weiteren nationalen Strafverfahren - insbesondere in den zwölf Nürnberger Nachfolgeprozessen (darunter der sog. Juristenprozess) - fand das Nürnberger bzw. Tokioter Völkerstrafrecht im weiteren Verlauf Bestätigung.

Weitere Entwicklungsschritte auf internationaler Ebene: Sondertribunale für Jugoslawien und Ruanda und Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs

Völkerstrafrecht in den 1990er

Weiter gefestigt wurde das Völkerstrafrecht in den 1990er Jahren. So setzte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Sondertribunale für Jugoslawien und Ruanda ein. Hier wurden die völkerstrafrechtlichen Regelungen erstmals auf innerstaatliche Konflikte (sog. Bürgerkriege) angewandt. Noch bedeutender, da auf weltweite Geltung angelegt, war die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs durch die Annahme des sog. Römisches Statuts. Dieses trat am 1. Juli 2002 in Kraft.

Internationaler Strafgerichtshofs in Den Haag

Seitdem kann der in Den Haag angesiedelte Internationale Strafgerichtshof Einzelpersonen wegen Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen strafrechtlich zur Verantwortung ziehen und verurteilen. Seit dem Jahr 2018 ist dies auch wegen des Verbrechens der Aggression möglich. Die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ist grundsätzlich gegeben, wenn der Täter Staatsangehöriger eines Vertragsstaates ist, die Verbrechen auf dem Territorium eines Vertragsstaates stattfinden oder der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das Gericht mit der Verfolgung beauftragt. Dabei soll der Internationale Strafgerichtshof die nationale Strafgerichtsbarkeit nicht ersetzen, sondern lediglich ergänzen. Er wird demnach nur dann tätig, wenn Staaten nicht willens oder in der Lage sind, die Strafverfolgung selbst zu betreiben (sog. Komplementaritätsprinzip).

Völkerstrafrecht in Deutschland

Deutschland hat die völkerstrafrechtlichen Tatbestände Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) national verankert. Dieses trat am 30. Juni 2002 in Kraft. Dabei hat es sich an der Ausgestaltung im Römischen Statut für den Internationalen Strafgerichtshof orientiert. Zuvor war der Völkermord bereits als Straftatbestand im Strafgesetzbuch gesondert aufgeführt (vgl. die alte Fassung des § 220 StGB). Der Tatbestand des Verbrechens der Aggression wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2017 in das VStGB eingefügt. Durch das VStGB hat Deutschland sichergestellt, dass die deutsche Justiz sämtliche Verbrechen verfolgen kann, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen.

Das Weltrechtsprinzip

Für die Straftatbestände Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gilt das sog. Weltrechtsprinzip. Danach kann die deutsche Justiz auch schwerste Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, verfolgen – und zwar unabhängig vom Tatort sowie der Staatsangehörigkeit des Täters bzw. der Täterin oder des Opfers. Im Unterschied dazu kann das Verbrechen der Aggression von deutschen Ermittlungsbehörden nur verfolgt werden, wenn der Täter die deutsche Staatsangehörigkeit hat oder die Tat sich gegen die Bundesrepublik Deutschland richtet.

Vorreiterrolle Deutschlands

Der deutschen Justiz gelang es in den letzten Jahren, bei der Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen eine Vorreiterrolle einzunehmen.

Auf Grundlage des Weltrechtsprinzips leitete der zuständige Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof bereits zahlreiche Ermittlungsverfahren wegen Tatvorwürfen nach dem VStGB ein. Hier zu nennen sind zum Beispiel Verbrechen im Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg, den Aktivitäten der Terrororganisation des sog. Islamischen Staates (IS) oder zuletzt dem bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Folglich mussten sich zahlreiche Personen wegen Verstößen gegen das VStGB vor deutschen Gerichten verantworten.

Historische Verurteilungen im Völkerstrafrecht

Die Prozesse sind ein Signal der Hoffnung und der Gerechtigkeit – zu allererst für die Opfer der schrecklichen Verbrechen, aber auch für die Weltgemeinschaft. Verantwortliche von Völkerrechtsverbrechen dürfen sich nirgendwo sicher fühlen. Deutschland wird auch künftig seinen Beitrag zur Ahndung von Völkerrechtsverbrechen leisten. Hierzu sind auf Initiative des deutschen Bundesministers der Justiz Ende November 2022 erstmals die Justizminister und Justizministerinnen der G7-Staaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA) zusammengekommen, um über die juristische Aufarbeitung der in der Ukraine begangenen Völkerstraftaten zu beraten. Insbesondere folgende Verurteilungen haben die Rechtsprechung im Völkerstrafrecht in historischer Weise fortgeschrieben:

November 2021

Die Verurteilung eines irakischen IS-Angehörigen wegen Völkermords durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im November 2021. Dieses ist das weltweit erste Urteil, welches den Völkermord an Jesiden und Jesidinnen ausdrücklich anerkannte.

Februar 2021 bzw. Januar 2022

Die Verurteilungen von Mitarbeitern des syrischen Geheimdienstes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch das Oberlandesgericht Koblenz im Februar 2021 bzw. Januar 2022.

Fortentwicklung des Völkerstrafrechts

Der Gesetzentwurf zielt darauf, Strafbarkeitslücken zu schließen, Opferrechte zu stärken und die Breitenwirkung völkerstrafrechtlicher Prozesse und Urteile zu verbessern. Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann in einer Ersten Lesung vor dem Deutschen Bundestag.

Meldung , 30. November 2023

„Mit dem beschlossenen Gesetzentwurf werden wir Opferrechte von Betroffenen von Völkerstraftaten stärken, die Rezeption deutscher Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch erleichtern und im deutschen Recht Strafbarkeitslücken schließen“, so Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann.

Meldung , 01. November 2023

Aus Anlass des Inkrafttretens des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs vor 20 Jahren organisiert das Bundesministerium der Justiz am 1. November 2022 eine Veranstaltung, die im Livestream online übertragen wird.

Meldung , 27. Oktober 2022

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